Mittwoch, 8. Juli 2009
Nils Schumacher: "Konturen"- Gedichte 1994- 2009
KONTUREN

Die nächtlichen,
sommerlichen Gräusche
des Viertels
vertraut und warm

-das reicht bisweilen,
und das, was sich dabei
in einem auftut,
hillft ohne Zweifel
dabei,
sich selbst wieder
mit Konturen
zu versehen

und meinetwegen
könnte es
immer
so
weitergehen


PROZENTE

Die Prozente
machen lall
und lach-
aus Welt
und Gedanken
trieft ge-
sättigte Leber
und Doppel-
blick

Verloren
im Raum ist
die Richtung
zu suchen
um zu hören
wie das Laub
raschelt unter
deinen Sohlen


TIEFEBENE
Doof kommt von "Dorf"
jede halbe Stunde
die gleichen Worte
erzähl mir was neues
statt Tiefkühlkost-
alles understatement-
aber was macht das schon?
lass ab!
du schnappst nach mir
in jeder Ecke
des Gesprächs
Transmissionen
ungeklärt
im eigenen Saft
die norddeutsche Tiefebene
und ihre Musen


STÜRZE

Überstürzte Worte
reihen sich ein
in die Gegenwart

lallend erfassen-
mein Zustand ist
heute nicht
und
morgen
auch nicht

brodelnde Nacht, Gewächshaus-
temperaturen im Juli
in der Ferne
eine Ambulanz

den Vergil verschluckt-
nichts halb gelassen
und doch
zerfetzt


SCHIPHOL

Nirgendwo
habe ich
so viele
Menschen
gesehen
die ihrer
Poesie
so sehr
enthoben waren wie
auf dem
Flughafen
Schiphol

Drehscheibenmenschen
Transfermenschen

abhängig von
einer Technik
die wie
keine andere
der menschlichen
Natur
zuwider-
läuft

man eilt
mit einem
leicht
beklemmenden
Gefühl
des Ungewissen
ins Unwahrscheinliche
da
der
Mensch
nicht
fliegen
kann

dennoch wird
die Grammatik des Reisens
verzerrt
indem man sagt:

"Ich fliege jetzt nach Marseille"

-was nicht stimmt


WEISSE WÄSCHE

Weisse Wäsche
von Körpern verlassen
im Garten

windstill
und
frisch gewaschen

leuchtet
und
hängt für sich


EIN KLEINES GLÜCK

Gemeinsam vor den stills
der Kinovitrine

eine Hollywoodschaukel
im Garten
wie im Geiste

ein Hund mit Steuermarke


HERBSTGEHEIMNIS

Reibe Dir
den Senf
aus den Augen
bis Du
nichts mehr
siehst

Härte und
Auflösung
im Posenstrom-

das Harte
im Korn


AFFE

..das sich leuchtend
aufstellt wie ein
goldenes Stück Glück

die Treppe
rasch hinab
in den Tag

mein Charme
mein Karma

sich ausbreiten
und
liegen
lassen

"das wird schon wieder"

und jedesmal
warf mich
das Karussell
in die Höhe
und selbst
wenn es mich abwarf
stand ich bald danach
wieder auf
ging zur Kasse
und verlangte
noch eine
Runde

oh mein Gott
wie lange
habe ich
nur gebraucht
um zu kapieren
dass mit allem
was Du mir
erzählt hast
nur Dich selbst
meintest

gestern
lärmte mein Nachbar
trunken im ersten Stock-
das war real
das war koscher

mein Affe
drehte dazu
vor mir Pirouetten
bis er
auf einmal anfing
kleine
braune Bröckchen
zu spucken

also schloß ich ihn wieder in den Keller ein

alles gedeiht
schön aufgereiht

das, was dich kotzen läßt
das, was dich scheißen läßt

egal-

es liegt immer ein System zugrunde

unergründlich
aber nennbar

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